Franziska- 225 Tage

Gerne erzähle ich über meine drei Schwangerschaften mit Hyperemesis Gravidarum, verbunden mit dem Wunsch, dass es anderen werdenden Müttern, die das Gleiche durchmachen müssen in irgendeiner Form weiter hilft und aber auch, um die Umgebung dieser Frauen für das Thema zu sensibilisieren.
Bevor ich das erste Mal schwanger wurde, konnte ich mir nicht im Geringsten vorstellen, dass eine Schwangerschaft mit so vielen gesundheitlichen Problemen und mit so viel physischen, wie auch psychischem Leid verbunden sein könnte. Ich habe es mir schön vorgestellt, mein Baby in mir wachsen zu fühlen und glücklich meinen größer werdenden Bauch vor mir her zu schieben. Ich war immer gesund und fit, zudem sehr jung und voller Energie. Krankheit kannte ich nur aus meinem beruflichen Kontext, habe es jedoch nie mit mir selbst in Verbindung gebracht. Mal eine Grippe – das wars.
Dann wurde ich schwanger. Wir waren im Urlaub und von einem Tag auf den Anderen ging es mir hundeelend… zunächst vermutete ich eine Lebensmittelvergiftung oder dergleichen. An eine Schwangerschaft dachte ich nicht im Entferntesten. Doch auch nach drei Tagen stellte sich keine Besserung ein, im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Alle gingen zum Strand, nur ich lag gerädert von der Dauerübelkeit in meinem Zelt und wollte nur noch heim. Wir brachen unseren Urlaub ab und fuhren nachhause. Ein Test brachte Klarheit: schwanger! Dann fing es an, das unstillbare Erbrechen – jeder noch so kleine Schluck Wasser kam unmittelbar wieder heraus. Der Sommer 2003 war extrem heiß und ich wusste, dass der Flüssigkeitsverlust gefährlich werden konnte. Verzweifelt ging ich zu meinem Gynäkologen – die erste Infusion mit MCP wurde mir verabreicht. Leider vertrug ich diese nicht und ich landete mit heftigen Nebenwirkungen im Krankenhaus. Einen Tag nach Entlassung wies mich mein Arzt wieder ein. Eine stationäre Infusionstherapie war nötig geworden, da sich mein Zustand nicht besserte. Vier Wochen Krankenhausaufenthalt folgten. In den ersten drei Monaten meiner Schwangerschaft nahm ich 9 Kilo ab und wog nur noch 43 kg. Auch nach der lang ersehnten 12.SSW verbesserte sich mein Zustand nicht. Dauerübelkeit und Erbrechen prägten meinen Tag. Ich war mit meiner Situation sehr überfordert und auch die Ärzte wussten nicht recht, wo sie mich einordnen sollten. Das Schlimmste war in dieser Situation für mich der vorwurfsvolle Satz einer Ärztin: „ Warum Essen sie nichts?! Sie wissen doch, dass ihr Kind Nährstoffe braucht! – sind Sie etwa Magersüchtig?“ – nach diesem Gespräch ging es mir sehr schlecht, ich fühlte mich unverstanden und mich plagten Schuldgefühle. Glücklicherweise habe ich eine Mutter, die zu mir stand und sich nicht scheute, die Ärztin auf ihr unsensibles Verhalten anzusprechen und mir den Rücken stärkte! Die Unterstützung meiner Familie und Freunde waren so elementar wichtig für mich! In allen drei Schwangerschaften haben sie meinen Zustand nie in Frage gestellt, mir geholfen und mich unterstützt! Darüber bin ich sehr dankbar! Auch für sie war es mit Belastung und Sorge verbunden.
Mit dem 7.SSM kam endlich die Besserung. Dafür bekam ich in der Weihnachtsnacht vorzeitige Wehen und musste wiederrum 3 Wochen mit strenger Bettruhe und Wehen- Hemmer im Krankenhaus verbleiben. Nach all den Strapazen wurde ich am 15.3.2004 mit einer wunderschönen, schnellen Wassergeburt und einem wundervollen kleinen Mädchen belohnt! Meine Tochter erblickte in der 38.SSW das Licht der Welt!
Zwei Jahre später wurde ich mit aller Hoffnung auf eine normale Schwangerschaft wieder schwanger. Doch auch diesmal begann pünktlich mit der 7.SSW die ganztägige Übelkeit mit Erbrechen. Die HG hatte mich wieder voll im Griff! Mit einem Kleinkind von gerade mal zwei Jahren war die Situation noch schwieriger. Ohne die Hilfe meiner Mutter hätte ich das nicht geschafft. Ich konnte meine kleine Tochter nicht versorgen, konnte nicht mit ihr spielen und schon gar kein Essen für sie zubereiten. Symptomatisch für mein HG war zu der Übelkeit und dem Erbrechen ein heftiger Ekel vor allem Essbaren, der von einem starken Würgereiz begleitet wurde. Mit mir konnte man nicht mal über Essen sprechen, ich musste im Fernsehen das Programm umstellen, wenn irgendwelche Speisen gezeigt wurden und Einkaufen war undenkbar. Nicht nur die Gerüche lösten einen Brechreiz aus, auch nur schon der Anblick! Da ich sonst gerne koche und Esse und es für mich ein Teil meiner Lebensqualität darstellt, war dies für mich eine besondere Qual.
In meiner zweiten Schwangerschaft ging ich die ersten Wochen jeden Tag zum Arzt, um mir eine Infusion geben zu lassen. Damit wollte ich einen Krankenhausaufenthalt zum Wohle meiner zwei jährigen Tochter vermeiden. Ich schaffte es mit Vomex und diesen Infusionen über die Runden zu kommen. In dieser Schwangerschaft wollte ich mich nicht einfach meinem Schicksal hin geben und versuchte mir weitere Hilfe zu holen. So fuhr ich über eine Stunde zu einer Schilddrüsenspezialistin und ging zu einer Homöopathin. Griff nach jedem Strohhalm, leider ohne Erfolg. Auch im Internet war nicht viel über HG zu finden. Dann gab mir eine Nachbarin den Rat in ein Zentrum für Chinesische Medizin zu gehen. Dort bekam ich Akupunktur. Nach etwa drei Sitzungen zeigte sich ein kleiner Erfolg im Kampf gegen die HG: der Ekel vor dem Essen wurde besser, sowie das Erbrechen, die quälende Dauerübelkeit jedoch blieb. Diesmal gottseidank nur bis zum fünften Monat. Am 20.01.2007 kam meine zweite Tochter zur Welt.
Nach diesen zwei sehr belastenden und Kräfte zehrenden Schwangerschaften, stand für mich fest, dass es trotz meines jungen Alters keine weiteren Kinder mehr geben würde. Meine Familienplanung war abgeschlossen und ich gab schweren Herzens alle Babysachen weg.
Sieben Jahre später wurde ich ungeplant ein drittes Mal Schwanger. Diesmal hatte ich wenig Hoffnung auf eine normale Schwangerschaft ohne HG. Ich suchte gleich meinen Arzt auf und besprach mit ihm eine Medikamentöse Therapie, sollte es wieder losgehen. Pünktlich mit der 7.SSW war es soweit: Übelkeit und Erbrechen waren schlagartig da. Kurz darauf begab ich mich auf den Rat meines Arztes hin in die Klinik. Es war schlimmer und unerträglicher denn je. Ich lag gequält von der Dauerübelkeit und dem Erbrechen in meinem Bett und war verzweifelt. Oft kamen mir die Tränen und ich wünschte mir einfach nur ein Ende dieses Zustandes herbei. Manchmal war ich kurz davor, von den Ärzten einen Schwangerschaftsabbruch zu verlangen. Ich kämpfte jeden Tag mit mir. Mir kommen jetzt noch die Tränen, wenn ich daran zurück denke. Ich wusste einfach nicht, ob ich diesen Zustand noch einmal über Monate ertragen konnte… Ein drittes Mal kotzte ich mir Tage und Wochen im Wahrsten Sinne des Wortes die Seele aus dem Leib. Fühlte mich elend und nicht mehr wie mich selbst. Kraftlos, zermürbt und leer. Ich konnte einfach keinen Bezug zu meinem Kind aufbauen, war so in meinem Leid gefangen. Es gibt keine Worte, mit denen sich die Gefühle und die Lage einer Frau mit HG wirklich beschreiben lassen. Ein zaghafter Vergleich: eine monatelang andauernde Magen-Darm-Grippe…und selbst das ist keine ausreichende Beschreibung des Ausmaßes, das HG mit sich bringt! Es ist ein extrem aversiver, belastender und elender Zustand, der einen an die Grenzen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit bringt. Man fühlt sich hilflos und ausgeliefert, ist verletzlich und schwach. Die Dauerübelkeit zermürbt und macht apathisch. Jeder Schluck Wasser kostet Überwindung, bei jeder Mahlzeit kämpft man gegen einen gewaltigen Brechreiz an. Jede Bewegung verursacht noch mehr Übelkeit, genauso Lesen und Fernsehen, Gerüche, das Sprechen und kleine Veränderungen der Lichtverhältnisse. Selbst die Wassertemperatur zum Händewaschen durfte nicht zu warm sein. Die Übelkeit bewirkte bei mir fast ein zwanghaftes und stark vermeidendes Verhalten. Sie verursachte Angst und Unsicherheit. Alles musste im Vor raus durchdacht und geplant sein, da jede Anstrengung zur falschen Zeit den Zustand verschlimmern konnte. Ich fühlte mich gefangen und von meiner gewohnten Leben abgeschnitten. Die Zeit im Krankenhaus wurde zu einer psychischen Belastungsprobe. Ich vermisste meine Kinder, mein Zuhause und mein Leben, war jedoch nicht in der Lage ausreichend Flüssigkeit und Nahrung aufzunehmen. Mir ging es so schlecht und ich war so unterernährt, dass ich über die Venen künstlich ernährt werden musste. Ich kämpfte jeden Tag darum, keinen Zentralen Venen Katheter gelegt zu bekommen, denn damit hätte ich nicht entlassen werden können. Die Medikamente erster Wahl bei HG schlugen nicht an, so dass die Ärzte auf Zofran zurückgreifen mussten. Ein Medikament, welches normalerweise Patienten während einer Chemotherapie erhalten. Nicht mal dieses konnte etwas gegen die 24-Stunden Übelkeit ausrichten, ich musste jedoch weniger erbrechen und mein Zustand stabilisierte sich soweit, dass ich nach einem Monat endlich entlassen werden konnte.
Nach zwei Wochen weiteren Dahinvegetierens auf der heimischen Couch, hatte sich bei mir in Folge der Bettlägerigkeit durch die HG, eine Drei-Etagen-Thrombose im linken Bein entwickelt. Ein weiterer Krankenhausaufenthalt folgte, sowie täglich zwei Spritzen mit Gerinnungshemmern für den Rest der Schwangerschaft. Dazu kamen wieder Vorzeitige Wehen nach einem Autounfall und weitere Tage im Krankenhaus. Ich war bedient und am Ende mit meinen Kräften. Ich hatte noch sechs Monate vor mir und konnte nur wenige Schritte laufen, ohne Atemnot und Herzrasen zu bekommen, selbst Duschen und Haare waschen waren eine Herausforderung und nahmen doppelt so viel Zeit wie sonst in Anspruch. Ich fühlte mich alt, krank und gefangen in meinem eigenen Körper. Immer wieder kollabierte mein Kreislauf. Mein Zustand besserte sich nicht wie in meinen vorrangegangenen Schwangerschaften mit Fortschreiten der Schwangerschaft, ich musste bis zum Schluss Medikamente gegen das Erbrechen nehmen und die Übelkeit begrüßte mich jeden Tag aufs Neue. Manchmal wollte ich am liebsten nicht mehr aufwachen oder kam auf den absurden Gedanken, man könnte mich ja für die restlichen Monate in ein künstliches Koma versetzen, damit ich nichts mehr von alle dem ertragen musste. Einzig der nächtliche Schlaf brachte Linderung.
Ich setzte all meine Hoffnung darauf, dass die Ärzte die Geburt eher einleiten würden, um dem Elend endlich ein Ende zu setzen. Ich verhandelte um eine Einleitung in der 38.SSW (ab der 37.SSW ist es keine Frühgeburt mehr) doch es bestand keine Bereitschaft dazu. Ich fühlte mich hilflos und unverstanden wie nie. Ich wollte mein monatelanges Leiden doch nur um zwei Wochen verkürzen! Diese Verweigerung riss mich noch einmal in ein Loch. Hatte überhaupt irgendwer verstanden, wie schlecht es mir ging? Wie sehr ich litt? Mir wurde klar, dass niemand, der nicht selbst HG durchgemacht hatte wirklich nachvollziehen konnte, was das bedeutet…darüber bin ich heute noch verzweifelt, traurig und wütend. Es fühlte sich so an, als würden sie nicht anerkennen, was ich die ganzen letzten Monate auf mich genommen hatte, damit mein Kind zur Welt kommen konnte.
Um genau zu sagen, waren es:
7 ½ Monate , 30 Wochen, 225 Tage oder 5400 Stunden, die ich in dieser Schwangerschaft ohne Pause mit Dauerübelkeit und Erbrechen verbrachte. – heute unvorstellbar für mich, wie ich diese Zeit überstanden habe. Und das Ganze drei Mal!
Ich erkläre mir dies einzig und allein mit der Liebe und dem Gefühl der Verantwortlichkeit und Fürsorge für meine ungeborenen Kinder, sowie dem Instinkt überleben zu wollen. Solche Kräfte werde ich wohl zu keiner Zeit meines Lebens je wieder aufbringen können. Meine Erfahrung mit HG hat mich stark gemacht und gleichzeitig verletzlich – belohnt wurde ich mit drei wunderbaren Töchtern! Ich bin dankbar, dass sie diese Schwangerschaften und die vielen Medikamente so unversehrt überstanden haben. Aber es bleiben auch „Narben“ aus dieser Zeit…die Traurigkeit darüber, dass ich nie eine unbeschwerte Schwangerschaft erleben durfte und der unfreiwillige und zuweilen schmerzhafte Abschied von der Möglichkeit noch ein Kind zu bekommen – denn eine weitere Schwangerschaft mit Hyperemesis Gravidarum würde ich vermutlich nicht mehr überstehen.
An dieser Stelle möchte ich noch sehr gerne erwähnen, wie existenziell wichtig es für mich in dieser Zeit war, dass ich Menschen an meiner Seite hatte, die für mich da waren. Menschen, die mir zugehört und mich ernst genommen haben, mir Zuspruch und Geduld entgegen brachten, meine Kinder liebevoll betreuten, meinen Haushalt erledigten und mich in den Arm genommen und mir immer wieder Mut und Kraft gegeben haben! Ohne diese Menschen, wäre es noch viel schlimmer zu ertragen gewesen und ich bin unendlich dankbar für diese tatkräftige und emotionale Unterstützung

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